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Lebtage nicht mehr tun; solch einer Nacht wollten sie gedenken.
Da ließ er sie los des Morgens um vier Uhr. Den Tag über
hatten sie welke Köpfe und sahen aus wie Rahmsuppen, und am
Abend krochen sie in ihr Bett und nahmen keine Karten mit. Es
hat auch durchgelangt bei ihnen, und sie haben als Männer später
es dem Pfarrer gestanden, daß die Kur gründlich gewesen sei.
E. Frommei.
26. Die Heimkehr von der Wanderschaft.
Meister Zeiland war der beste Grobschmied im ganzen Lande
und der emsigste. Ehe der Tag anbrach, öffnete er seine Werk-
stätte mit einem Morgenliede, und dann loderte das Feuer in
seiner Esse, und die Blasebälge arbeiteten, und auf drei Ambossen
seufzte ohne Unterlaß das sprühende Eisen unter den schweren
Hämmern. Den ganzen Tag war er unermüdet bei der Aufsicht
und Arbeit; aber wenn um sechs Uhr das Feuer ausgelöscht
und die Werkstätte geschlossen war, dann lebte er sich selbst
und dem Andenken seiner frohen Tage, und dann war wohl
niemand zufriedener und ehrwürdiger als Meister Zeiland, der
Grobschmied,
Bei heitern Abenden zur Sommer- und Herbstzeit saß er
dann oft an seiner Tür auf dem Hofe unter den hohen Nuß-
bäumen, die sein Großvater, auch ein Grobschmied wie er, ge-
pflanzt hatte, als er nach einem großen Brande das Haus wieder
aufbaute. Dann setzten sich meistenteils einige der ältesten
Nachbarn um ihn her auf die hölzernen Bänke, und auch die
Jüngern Männer versammelten sich um ihn und hörten ihn gern,
wenn er von alten Zeiten sprach und den Drangsalen des
Krieges und von fremden Städten, in denen er gewesen war,
und von seiner Jugend und seinen glücklichen Tagen. Nament-
lich erwähnte er oft des Tages seiner Rückkehr von der
Wanderschaft.
»Mein Vater,“ erzählte er einmal, „war ein tätiger und
ernster Mann, der mir nicht erlaubte, viel umherzugaffen, sondern
mich von klein auf scharf zur Arbeit anhielt. Was ein fester
Baum werden soll, pflegte er zu sagen, das muß im Winde
wachsen, und ein Handwerksmann darf nicht erzogen werden
wie ein Edelmann. Ich ehrte ihn sehr und war folgsam gegen
seine Befehle, weil es Gottes Gebot ist, doch nicht immer mit
frohem und vollem Herzen, aber meine Mutter liebte ich über
alles und tat alles mit Freuden, was sie mich hieß. Beide
waren schon hoch in Jahren, als ich so weit herangewachsen
war, daß ich mich auf die Wanderschaft begeben mußte; denn
ich war von zehn Kindern das jüngste und nebst einer Schwester
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
TM Hauptwörter (100): [T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T40: [Fabrik Maschine Industrie Arbeiter Stadt Weberei Arbeit Herstellung Handel Art], T91: [Haus Fenster Wand Stein Dach Zimmer Holz Feuer Raum Decke]]
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62
Gefängnis dünkte ihm die schwerste Strafe. Dann aber zog es ihn
auch zu seinem alten Mütterchen, das er so bitter gekränkt hatte, und
dessen Vergebung ihm vor allen Dingen am Herzen lag.
Der erste, welcher dem Friedrich Breitkopf entgegentrat, als
er in das heimatliche Dorf schritt, war der greise Dorfdiener
Biedermann. Tief beschämt schlug Friedrich seine Augen nieder,
als er dem alten Manne gegenüberstand, und kein Wort der Be-
grüßung wollte von seinen Lippen herab. Da fühlte er plötzlich seine
Hand von der des Greises ergriffen, und er hörte ihn die milden
Worte sagen: „Bist wedder da, Friedrich? Hast Malheur 'hat, armer
Junge; hebben dick alle beduert in 'n Dorpe; na, lallt man gut sin,
dat vergäll sik, bist nicht schlecht west, bloß en bettchen wild, bat
kann jeden passieren, mien Sahn. Gah man na diene Mutter, dee
luert «ll up."
O, wie taten dem guten Jungen diese schlichten Worte wohl!
„Bist nicht schlecht west!" — War er wirklich nicht schlecht, sondern
nur wild gewesen? — Nein, nein, nein, er hatte sein ehrlich Hand-
werk aufgegeben, das war schlecht genug gewesen; schon darum
hatte er seine Strafe verdient. Und doch — es tat ihm so unend-
lich wohl, daß gerade der greise Dorfdiener sein Vergehen so mild
beurteilte.
An dem Häuschen seines Mütterchens angelangt, stand Friedrich
einen Augenblick still und blickte durch die Fensterscheiben hindurch
in das Wohnstübchen hinein. O Gott, da saß die gebeugte Gestalt
der alten Frau in ihrem gewohnten Lehnstuhl und hatte vor sich auf-
geschlagen ihr altes Gebetbuch mit den großen Buchstaben, die dem
kleinen Friedrich immer so unheimlich erschienen waren. Dem großen
Friedrich schnürte der Anblick das Herz zusammen. Leise öffnete er
die Haus- und Stubentür; da blickte die alte Frau auf. „Mütter-
chen, Mütterchen, vergib mir, daß ich dir so wehe getan habe!" schrie
Friedrich Breitkopf, stürzte zu den Füßen seiner Mutter nieder und
begrub sein tränenübersttömtes Antlitz in ihrem Schoße.
„Mein armes, liebes, gutes Kind!" Das waren die ersten Worte,
die er von den Lippen der alten Frau vernahm; dann fühlte er ihre
Hände auf seinem Scheitel liegen und hörte sie lange und leise ihre
Gebete murmeln.
Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht von Friedrichs Rück-
kehr im Dorfe verbreitet. Bekannte kamen, ihn zu begrüßen, selbst
die Bauern sprachen einer nach dem andern in dem kleinen Häuschen
vor, und alle zeigten ihm Teilnahme in seinem „Unglück", wie sie es
nannten, und wünschten ihm Glück und Segen für die Zukunft.
Und Glück und Segen blieben dem Friedrich Breitkopf nicht aus.
Es war kaum Abend geworden, da sandte sein alter Meister Wernthal
einen Lehrbuben und ließ ihn zu sich rufen. Der brave Meister war
brustkrank geworden und forderte Friedrich auf, bei ihm wieder ein-
zutreten. O, wie freute sich der junge Mann, daß gerade sein alter
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Breitkopf Friedrich Biedermann Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich_Breitkopf Friedrich Friedrichs Friedrich_Breitkopf Friedrich Friedrich Friedrich
102
Mit der Arbeit ging es natürlich ebenso rasch zurück wie mit dem
Neiße; die besten Kunden verlor er bald, und die Zechgenossen waren
sehr unsichere Käufer und schlechte Zahler. Kein ordentlicher Gesell hielt
es bei ihm aus, und der Lehrjunge trieb dumme Streiche.
Das war der schlimme Anfang vom bösen Ende. Die Frau bekam
die Schwindsucht und starb, kaum 30 Jahre alt, in Gram und Kummer.
Drei arme Kinder standen an ihrem Totenbette, ein viertes lag hilflos
in den Windeln.
Eine Zeitlang schien es, als ob das Unglück, wie er es nannte, ihn
aus feinem wüsten Leben aufgeschreckt und zur Einkehr gebracht hätte.
Man sah ihn einige Wochen in keinem Wirtshause; aber in die Kirche
ging er auch nicht. Um sich zu zerstreuen und sich zu trösten, besuchte
er dann den Kegelklub wieder. Bald war er wieder ein Stammgast
seiner Vereine in alter Weise. Das hielt er aber nicht lange mehr aus;
sein Besitztum war überschuldet, seine körperliche und auch die geistige
Kraft ganz erschöpft. Die Gemeinde mußte sich seiner unglücklichen
Kinder erbarmen; sie erhielten als Pflegekinder eine armselige Unterkunft
bei herzlosen Menschen. Ein Jahr nach dem Tode der Mutter brach
bei dem Vater der Wahnsinn aus; er wurde ins Irrenhaus gebracht. —
Das ist die Geschichte von Tausenden! Wie man's treibt, so geht's.
Nach Meister Konrads Werkstatt.
52. Mäßigkeit.
Joachim Nettelbeck erzählt in seiner Lebensbeschreibung folgendes
Vorkommnis, das sich in Lissabon im Jahre 1780 zutrug, als er
Rückfracht für sein Schiff suchte:
Eines Tages sprach mich ein portugiesischer Kaufmann in Be-
gleitung eines deutschen Handlungsdieners auf der Börse an und bat
mich höflichst, zu Mittag sein Gast zu sein; nach Verlauf der Börsen-
zeit werde er mir einen Wink geben, mit ihm zu gehen. Ich sagte
zu und hatte den Mann im Gewühl kaum aus den Augen verloren,
als mehrere Schiffskapitäne aus meiner Bekanntschaft, die das mit
angesehen hatten, mich mit Fragen bestürmten, ob dieser Mann mir
etwa bekannter sei als ihnen, die er gleichwohl wie mich zu Tische
geladen habe. Ich mußte das schlechterdings verneinen und war
gleich ihnen über seinen Einfall einigermaßen verwundert. Das
hinderte jedoch nicht, daß wir nach geendigter Börsenstunde zusammen-
gerufen wurden. Es waren unsrer neun Schiffskapitäne im buntesten
Gemisch: Dänen, Hamburger, Lübecker, Schweden, Schwedisch-Pommern
und Danziger. Auch fanden wir, als wir im Hause unsers Gast-
gebers anlangten, dort bereits mehrere Kaufleute versammelt und ein
schmackhaftes Mahl bereitet, wobei zugleich tapfer getrunken wurde;
denn unser Wirt verstand die Kunst des Zunötigens aus dem Grunde,
und so artete es nach aufgehobener Tafel bald in ein Gelage aus,
wo weder Maß noch Anstand mehr beobachtet wurde. Bei mir, der
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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71
Qus dem Körper wieder heraus sei; dann aber müßte man es so
lange reiben, bis die Wärme wiederkehre, und wenn dadurch das
Leben nicht zurückgerufen würde, sei alle Hilfe vergebens.
Da trat eine junge Dame, welche erst seit wenigen Wochen als
Erzieherin im Hause war, vor und erhob bescheiden, aber mit großer
Bestimmtheit Einspruch gegen die vorgeschlagenen Maßregeln. Sie
habe erst vor kurzem an dem Unterricht in einer Samariterschule
teilgenommen und dort gelernt, wie man sich bei Rettungsversuchen
an scheinbar Ertrunkenen zu verhalten habe. Das, was der Schäfer
vorgeschlagen, sei durchaus nicht zweckmäßig. Wenn man ihr gestatten
wolle, das Erlernte hier anzuwenden, so hoffe sie, daß es noch möglich
sei, den Knaben wieder ins Leben zurückzurufen. Die Ruhe und
Zuversicht, mit welcher das junge Mädchen gesprochen, flößte der ver-
zweifelten Mutter neue Hoffnung ein. Sie bat die Erzieherin, alles
zu tun, was sie für nötig halte. Deren erster Rat war, einen
Eilboten nach der Stadt zu schicken, um den Arzt zu holen, der
zweite der, einige wollene Decken wärmen zu lassen. Dann legte sie
sofort selbst Hand an, wobei sie das verständige Hausmädchen auf-
forderte, ihr Hilfe zu leisten. Mit einigen Scherenschnitten trennte
sie Jacke und Hemd und streifte die Kleider vom Oberkörper völlig
ab; mit einem Taschentuch entfernte sie den Schlamm, der sich im
Munde befand, zog die Zunge hervor und band die Spitze derselben
mit dem Taschentuch auf dem Kinn fest; dann begann sie mit dem
Hausmädchen die künstlichen Atembewegungen auszuführen, wie sie
es in der Samariterschule gelernt hatte. In stets gleichem Tempo
wurde durch Erheben der Arme bis über den Kopf der kleine Brust-
kasten möglichst weit ausgedehnt und dann wieder durch Senken der
Arme und Druck auf die Seitenflächen der Brust zusammengedrückt.
Mit deutlich hörbarem Geräusch drang der Luftstrom ein und aus,
aber das Kind lag blaß und leblos, wenn die beiden Mädchen er-
mattet von der Anstrengung aus Augenblicke ihre Bemühungen aus-
setzten. Eine Viertelstunde nach der andern verging; immer mehr
schwand die Hoffnung der Mutter und der Umstehenden. Endlich,
nachdem mehr als eine Stunde lang die Bewegungen fortgesetzt waren,
schrie plötzlich das junge Mädchen auf: „Jetzt hilft es! Er fängt
an zu atmen!" Und siehe da, als sie mit den Bewegungen einhielten
hob sich die kleine Brust von selbst, und eine leichte Röte färbte die
blassen Wangen. Lauter Jubel der Umstehenden erhob sich; aber
die beiden Helferinnen ließen noch nicht nach und setzten, obwohl
aufs äußerste erschöpft, ihre Bemühungen unablässig fort, bis die
Wangen sich lebhafter röteten und der Kleine plötzlich die Augen
ausschlug. Nun wurden auf Geheiß der jungen Samariterin die ge-
wärmten Decken herbeigebracht, in welche der Kleine nach Beseitigung
der übrigen Kleidungsstücke eingehüllt und mit denen er dann tüchüg
gerieben wurde. Der Kleine sing an zu sprechen und verlangte
etwas zu trinken. Man flößte ihm warmen Thee ein und trug ihn
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TM Hauptwörter (100): [T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau]]
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209
fort, wie sie sich dessen rühmten, wenn sie abends nach der große«
Katastrophe am Solo-Tisch in Gesellschaft des Herrn Bürgermeisters, des
Kämmerers und des Herrn Apothekers einen Erholungstrunk genossen und
mit Stolz auf die Erfolge versicherten: Wir legen jetzt in vierundzwanzig
Stunden richtig unsere achtzehn Meilen zurück.
Da trat in der Mitte der zwanziger Jahre gar die Schnellpost auf.
„Vier Pferde!" „Jede Stunde eine Meile!" „Und sie geht alle, alle
Tage und nimmt samt Beiwagen an achtzehn waghalsige Passagiere mit,
die sich nicht scheuen, in so rasender Schnelligkeit Tag und Nacht durch
die Welt zu jagen." „Das muß man sehen, um es zu glauben." Und
wirklich, unser guter Lehrer, der davon gehört und sich danach erkundigt
hatte beim Posthalter unserer lieben Provinzialstadt, welcher zugleich
Apotheker und als Verkäufer magenstärkender Liköre sehr mitteilsam
selbst in Amtsangelegenheiten war — unser guter Lehrer teilte die Merk-
würdigkeit uns Kindern in der Schule mit, daß morgen abend Punkt
fünf Uhr und zweiunddreißig Minuten eine solche Schnellpost mit vier
Pferden in unserer Vaterstadt direkt von Berlin ankommen und bei dem
Posthalter vor der Tür fünf Minuten halten werde, um sodann wieder
auf- und davonzujagen bis nach Königsberg. „Denn wir liegen" — fügte
er belehrend hinzu — „gerade an der Landstraße zwischen diesen beiden
großen Residenzen, die jetzt für die Schnellpost bloß dreimal vierundzwanzig
Stunden voneinander entfernt sein werden."
„Werden auch Beiwagen ankommen?" wagte ich zu ftagen.
Unser Lehrer zuckte die Achseln und vertraute uns mit sehr bedeutungs-
vollem Kopfschütteln: „Das weiß selbst der Herr Posthalter nicht einmal,"
aber er habe gesagt: „In jetziger Zeit muß man auf alles gefaßt sein!"
Nach ernstlicher Beratung mit dem strengen Herrn Hilfslehrer wurde
uns denn noch am selbigen Tage bekannt gemacht, daß wir Kinder alle,
wenn wir fest versprächen, morgen nicht auf der Straße neben der Schnell-
post herzulaufen, was lebensgefährlich sei, mit den beiden Lehrern bis
eine halbe Meile vor der Stadt hinausgehen würden, wo wir die Schnell-
post „im vollen Fluge" könnten vorüberjagen sehen. Wir sollten nur
unseren Eltern noch ankündigen, wie alle nötigen Vorsichtsmaßregeln würden
getroffen werden, daß niemand von uns in dem gefährlichen Momente die
Landstraße betreten könne.
Unsere Begeisterung für das erwartete wunderbare Schauspiel ver-
setzte alle Hausväter und ganz besonders die besorgten Hausmütter in
Auftegung. Die Folge vieler häuslicher Beratungen war, daß die meisten
Mütter und älteren Geschwister den Entschluß faßten, die Schüler auf
ihrer Expedition zu begleiten, um durch Wachsamkeit jedes Unglück zu ver-
hüten und nebenher auch das Wunder in seiner Fülle anzustaunen, da es
ausgemacht war, daß die Schnellpost in der Stadt selbst ganz gewiß nicht
in so rasendem Galopp dahinsausen würde wie auf der Landstraße.
Die Expedition samt Begleitung ging denn auch bei schönem Sommer-
wetter ganz glücklich von statten. Die Schulmeisterin hatte eine Wasch-
Lesebuch f. Fortbildungsschulen rc. Allg. Teil.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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TM Hauptwörter (200): [T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T43: [Haus Frau Kind Mann Arbeit Wohnung Familie Zeit Zimmer Kleidung]]
Extrahierte Ortsnamen: Solo-Tisch Berlin Königsberg
242
Wenigs, was dir dein schweres Mißgeschick gelassen hat, allmählich vök--
mehren. Für die Einrichtung einer Werkstatt reicht es freilich nicht aus,
und ich möchte dir auch nicht raten, den letzten Notpfennig daran zu
wagen. Aber die hiesigen Handwerksmeister haben, wie du weißt, kürzlich
einen Vorschußverein gegründet, und wenn ich Bürgschaft für dich leiste,
so streckt dir, hoffe ich, der Vorstand so viel Bargeld vor, daß du wieder
eine eigene Werkstatt aufmachen kannst, und deine frühere Kundschaft wirst
du sicherlich wieder gewinnen." Mit wachsender Spannung und zuletzt
mit freudigem Staunen hatte Burkhard den Worten des Freundes gelauscht.
„Bruder Schmied," fiel jetzt der Bäcker ein, „da müßte ich eigentlich auch
dabei sein; aber bevor nicht mein Haus fertig, die Werkstatt wieder ein-
gerichtet ist und die Wohnungen vermietet sind, darf ich für einen andern
kerne Verpflichtungen übernehmen. Kannst du aber später meine Dienste
brauchen, lieber Burkhard, so rechne auf mich!"
Meister Burkhard standen die Tränen in den Augen, und aus
innerstem Herzen quollen seine Dankesworte. „Aber Freunde," sagte er
nach einer Weile, „wenn mich nun ein neues Unglück träfe, ehe ich meine
Schuld abtragen könnte, wie kämt ihr zu euerm Gelde? Von Herzen
gern möchte ich euern Freundschaftsdienst annehmen, aber dieser Gedanke
ängstigt mich. Ein Brandschaden hat allerdings seinen Schrecken für mich
verloren; denn meine frühere Versäumnis habe ich nachgeholt, und daß
ich alle neuen Anschaffungen versicherte, wäre ich euch ja schuldig; aber
heute rot, morgen tot! — und was dann? Wie es alsdann mit Weib
und Kind wird, daran mag ich gar nicht denken."
„Halt, da weiß ich Rat", rief jetzt der Bäcker. „Ihr wißt, ich bin
ein Freund von Versicherungen, und so habe ich mich vor drei Jahren
auch in die Lebensversicherung eingekauft. Just, wenn ich, will's Gott,
meine silberne Hochzeit begehe, nämlich im 55. Lebensjahre, werden mir
3000 Mark ausgezahlt; werde ich aber ftüher abgerufen, so wird dasselbe
Kapital ohne Säumen meiner Anna ausgehändigt. Allerdings muß ich
noch jährlich an 120 Mark Prämie entrichten; aber der Beitrag nimmt
von Jahr zu Jahr ab, und die Gewißheit, daß meine Familie, wenn das
Schlimmste eintreten sollte, nicht bloß auf meine Ersparnisse angewiesen
ist, scheint mir ein solches Opfer wert zu sein."
„Das ist ja alles recht schön," ließ sich jetzt der Schmied vernehmen,
„nur weiß ich nicht, Freund Schulten, wie du mit deinem Loblied auf
die Lebensversicherung unserm Burkhard aus seiner Besorgnis helfen
willst." Allein der wackere Bäckermeister ließ sich nicht irre machen.
„Warte nur, Spötter," entgegnete er, „ich werde dir jetzt die Lebens-
versicherung noch von einer andern Seite zeigen, und ich wette, du
wirst dich bekehren. Da habe ich einen Vetter, der will seinen kürzlich
verwaisten Neffen, einen sehr begabten Jungen, studieren lassen. Was
tut er? Er kauft ihn in die Lebensversicherung ein. Kommt der Neffe
ins Brot, so wird es ihm nicht schwer fallen, die vorgestreckten Prämien
zurückzuzahlen. Begegnet ihm aber etwas Menschliches, so hat der Oheim
das bereits gezahlte Geld nicht vergeblich daran gewandt und es seiner
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T39: [Million Mark Geld Jahr Summe Steuer Thaler Staat Ausgabe Einnahme], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen]]
Extrahierte Personennamen: Burkhard Burkhard Burkhard Anna Burkhard
244
ein wenig ausgelassen vor. Seine offenen, angenehmen Gesichtszügr
prägten sich meinem Gedächtnis ein, und gern hätte ich den Grund
seiner Munterkeit gewußt. Am folgenden Tage erfuhr ich ihn durch
einen Zufall.
Jener Soldat hatte während seiner ganzen Dienstzeit, drei
Jahre, keinen Urlaub gehabt, um seine Heimat und seine Familie
wiederzusehen; denn seine geringen Mittel erlaubten ihm die weite
Reise nicht. Die lange Trennungszeit war ihm schwer geworden;
er war immer schweigsam gewesen; denn er dachte viel an seine
Eltern und Freunde und an sein heimatliches Dorf, vor allem aber
an seine Mutter. Die war eine arme Bäuerin, alt und schwach;
aber sie besaß einen fröhlichen 5tnn und ein wahres Engelsgemüt.
Bon allen ihren Rindern liebte sie den fernen Sohn mit der größten
Zärtlichkeit und ganz besonderer Sorge. Seine häufigen Briefe
milderten freilich die Bitterkeit der Trennung; aber Papier bleibt
doch immer nur Papier, und zärtliche Mütter wollen ihre Rinder
sehen und mit fänden fassen. Auch den Rindern genügt es nicht
zu wissen, daß daheim ein teures, graues Haupt ihrer gedenkt; sie
wollen es an ihre Brust drücken. Nun bekam das Regiment eine
neue Garnison, sie war die nächste Stam bei dem Heimatsorte des
blauäugigen Soldaten. Nur wenige Meilen lagen jetzt zwischen ihm
und dem Baterhause, das war der Grund seiner Fröhlichkeit nach
dem anstrengenden Marsche.
Zwei Tage waren nach dem Einmarsch des Regiments ver-
gangen, und unser Soldat war im Begriff, sich einen kurzen Urlaub
zu erbitten, um nach Hause zu eilen. Da wurde ihm ein Brief
übergeben, der kam von seiner Mutter und lautete: „Morgen komme
ich nach der Siam, ich kann's nicht mehr erwarten, ich muß meine
Arme um deinen Hals schlingen!" Es gelang dem guten Sohn,
am andern Tage für einige stunden vom Dienste befreit zu werden«
In der Nacht konnte er nicht schlafen. Mft setzte er sich aufrecht
und blickte nach dem gestirnten Himmel. So verstrichen lange
Stunden, bis endlich die Ermattung siegte; aber er träumte von
seiner Mutter. Sie stand lächelnd an seinem Lager und strich mit
der Hand über seine Stirn. Langsam schlichen am andern Morgen
die Stunden hin. Die Gedanken des Sohnes eilten in die Heimat.
Er sah seine Mutter ein Bündel für ihn zurechtbinden und sich auf
den ll)eg machen. Im Geiste folgte er der guten, alten Frau, wie
sie auf der langen, staubigen Landstraße hinschritt. „Ach, könnte
ich ihr doch das Bündel tragen!" sagte der Sohn leise vor sich hin.
Dann eilte er ans Fenster, setzte sich wieder auf den Schemel und
verfiel in tiefes Sinnen.
Jetzt hörte er auf der Treppe eilige Schritte. — „Draußen steht
eine alte Frau, die nach dir fragt", teilte ihm ein Ramerad mit. —
„Meine Mutter!" ruft der Soldat aus, stürmt die Treppe hinunter,
stürzt über den Hof, erblickt eine Frauengestalt und fliegt auf sie zu«
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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TM Hauptwörter (200): [T111: [Kind Mutter Vater Eltern Frau Jahr Knabe Schule Haus Mann], T65: [König Herr Soldat Offizier Vater Prinz Friedrich Majestät General Brief], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte]]
248
„Ich bitt' dich gar schön, Anna, reiß mir die Kinder nicht so henrm,"
verwies der Kranke mtt schwächerer Stimme, „und die kleine Martha laß
schlafen, die versteht noch nichts."
Ich blieb abseits am Tische sitzen, und mir war heiß in der Brnst.
Die Angehörigen versammelten sich um den Kranken und schluchzten.
„Seid ihr nur ruhig," sagte der Sepp zu seinen Kindern, „die Mutter
wird euch schon morgen länger schlafen lasten. Josepha, tu' dir das
Hemd über die Brust zusammen, sonst wird dir kalt. Und jetzt — seid
allweg schön brav und folgt der Mutter, und wenn ihr groß seid, so
steht ihr bei und verlaßt sie nicht. — Ich hab' gearbeitet meiner Tag
mit Fleiß und Müh', gleichwohl kann ich euch weiter nichts hinterlasten
als dieses Haus und den kleinen Garten und den Rainacker und den
Schachen dazu. Wollt' euch's teilen, so tut es brüderlich, aber besser
ist's, ihr haltet die Wirtschaft zusammen und tut hausen und bauen.
Weiters mach' ich kein Testament, ich hab' euch alle gleich lieb. Tut
nicht ganz vergessen auf mich, und schickt mir dann und wann ein Vater»
unser nach.
„Und euch, die zwei Buben, bitt' ich von Herzen: Hebt mir mit
dem Wildern nicht an; das nimmt kein gutes End'. Gebt mir die Hand
darauf! So! — So, und jetzt geht wieder schlafen, Kinder, daß euch
doch nicht kalt wird, und gebt allzett rechtschaffen Obacht auf eure Ge--
sundheit. Gesundhett ist das Beste. Geht nur schlafen, Kinder!"
Der Kranke schwieg und zerrte an der Decke.
„Zu viel reden tut er mtt", flüsterte das Weib gegen mich ge-
wendet. Eine bei Schwerkranken plötzlich ausbrechende Redseligkeit ist eben
auch kein gutes Zeichen.
Nun lag er, wie zusammengebrochen, auf dem Bette. Das Weib
zündete die Sterbekerze an.
„Das nicht, Anna, das nicht," murmelte er, „ein wenig später. Aber
einen Schluck Wasser gibst mtt, gelt?"
Nach dem Trinken sagte er: „So, das frisch' Master ist halt doch
wohl gut. Gebt mir recht auf den Brunnen Obacht. Ja, und daß ich
nicht vergest', die schwarzen Hosen und das blau' Jüppel weißt, und
draußen hinter der Tür, wo die Sägen hängen, lehnt das Hobelbrett,
das leg' über den Schleifstock und die Bank; für drei Tag' wttd's
wohl halten. Morgen früh, wenn der Holzjosel kommt, der hilft mich
schon hinauslegen. Was unten bei der Pfarrkirche mit mir geschehen soll,
das weißt schon selber. Meinen braunen Lodenrock und den breiten Hut
schenk' den Armen. Dem Peter magst du was geben, daß er heraufgegangen
ist. Vielleicht ist er so gut und liest morgen beim Leichwachen was vor.
Es wird ein schöner Tag sein morgen, aber geh' nicht zu wett fort von
heim, es möcht' ein Unglück geschehen, wenn draußen in der Lauben das
Licht brennt. — Nachher, Anna, such' da im Bettstroh nach; wirst einen
alten Strumpf finden, sind etlich' Zwanziger drin."
„Seppel, streng' dich nicht so an im Reden", schluchzte das Weib.
„Wohl, wohl, Anna — aber aussagen muß ich's doch. Jetzt
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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Extrahierte Personennamen: Anna Martha Josepha Anna Anna Anna_—
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arbeitete er seit seinem zwölften Jahre in Vorrat und mußte nach des
Vaters Willen bereits im Sommer damit anfangen. „Selbst Zeichen-
unterricht gab ich einst an vier Knaben und Mädchen", berichtet er selbst
aus seiner Jugend. „Die Stunde kostete a Person einen Groschen. Die
Vorlageblätter hatte ich selbst gezeichnet. Bisweilen wurde ich wohl vom
Spielplatz zur Ausübung meiner Pflicht und Würde geholt; ich präsen-
tierte mich dann in einem Kostüm, welches der Achtung der Schüler keinen
Eintrag tat — nämlich in einer grüngewürfelten Jacke und einer Leder-
hose; Mütze und Stiefeln waren im Sommer nicht nötig, ich ging barfuß.
Stiefel wurden nur Sonntags angezogen." Ein neues Kleid erhielt der
Knabe bis zu seiner Konfirmation nie, es wurde ihm entweder aus ab-
gelegten Sachen etwas zurechtgemacht, oder der Vater kaufte auf dem
Trödelmarkte ein notwendiges Kleidungsstück für ihn.
Weit entfernt, mit den ihn umgebenden ärmlichen Verhältnissen
unzuftieden zu sein, fühlte sich der Knabe durchaus glücklich und widmete
sich mit Eifer der Ausübung seiner Kunstfertigkeit. Die Erträgnisse der-
selben steigerten sich in den letzten Jahren vor seiner Konfirmation auf
10 bis 12 Taler jährlich. Diese lieferten einen willkommenen Beitrag zu
dem kärglichen Haushalt der Eltern. Welche Genugtuung war es für
ihn, mit seinem Fleiße den guten Eltern die Sorge erleichtern zu helfen!
Während andere Kinder sich am Spiel ergötzten, saß er in der einfachen
Wohnstube, über seine Arbeit gebückt, jede der schnell dahineilenden Minuten
benutzend. So lernte der junge Rietschel schon in der Kindheit den Wert
und die Bedeutung der kostbaren Zeit kennen und schätzen. Ihm bot
dabei das ftohe Gefühl, das treiben zu dürfen, wozu er vor allem Lust
hatte, tiefe Befriedigung.
So verging Rietschels Kindheit. Die Konfirmation kam heran und
mit ihr die Notwendigkeit, sich für einen Beruf zu entscheiden. Der Ge-
danke an die Kunst, der den Knaben am meisten beschäftigte, konnte wegen
der fehlenden Mittel nicht in Betracht kommen. Rietschel fand bei einem
Krämer seiner Vaterstadt als Lehrling Aufnahme. Das harte und strenge
Wesen dieses Mannes ertötete jedoch in kurzem die ohnedies geringe Lust
zum Kaufmannsstande in dem Jünglinge. Von schwerer Krankheit befallen,
mußte er nach wenigen Monaten ins Elternhaus zurückkehren. Unaufhalt-
sam brach nach seiner Genesung der langgehegte, immer wieder zurück-
gedrängte Wunsch hervor, sich auf der Dresdner Akademie zum Maler
auszubilden. Der Vater gab den heißen Bitten des Sohnes nach und
bemühte sich um Aufnahme für ihn an der genannten Anstalt. Rietschel
erhielt die Aufforderung, sich dem Akademiedirektor Seiffert vorzustellen.
Da die bei dieser Gelegenheit vorgelegten Zeichnungen dessen Beifall fanden,
wurde die Aufnahme des Jünglings in die Akademie zu Michaelis 1820
bewilligt.
Sein sehnsüchtiger Wunsch verwirklichte sich. Wohl wußte er, daß
der Zuschuß der Seinen ttotz aller Aufopferung nur sehr gering sein
konnte. Aber was galten ihm die seiner wartenden Mühsale und Ent-
behrungen, da er nun seinem Ziele zustteben durste! Mit wenig Geld in
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Anzahl junger Männer auf und erklärte, sie würden dasselbe tun. Als
rin Bräutigam zögerte, sich von seiner Verlobten zu trennen und ihr
endlich doch seinen Entschluß verriet, sagte ihm die Braut, sie habe in
der Stille getrauert, daß er nicht unter den Ersten aufgebrochen sei. Die
Söhne eilten zum Heere und schrieben vor dem Aufbruch ihren Eltern
von dem fertigen Entschluß, die Eltern waren damit einverstanden; es
war auch ihnen nicht auffallend, daß der Sohn selbstwillig tat, was er
tun mußte. Wenn ein Jüngling sich zu einem der Sammelpunkte durch-
geschlagen hatte, fand er wohl seinen Bruder ebendort, der von anderer
Seite zugereist war; sie hatten einander nicht einmal geschrieben.
Die Universitäts-Vorlesungen mußten in Königsberg, Berlin, Bres-
lau geschlossen werden. Die Studenten waren einzeln oder in kleinen
Haufen aus dem Tor nach Breslau gezogen. Die preußischen Zeitungen
meldeten das kurz in den zwei Zeilen: „Aus Halle, Jena, Göttingen
sind fast alle Studenten in Breslau angekommen, sie wollen den Ruhm
teilen, die deutsche Freiheit zu erkämpfen." Nicht nur die erst blühende
Jugend trieb es in den Kampf, auch die Beamten, unentbehrliche Diener
des Staates, Richter, Landräte, Männer aus jedem Kreise des Zivil-
dienstes; auch die Stadtgerichte, die Büros begannen sich zu leeren. Schon
am 2. März mußte ein königlicher Erlaß diesen Eifer einschränken; der
Zivildienst dürfe nicht leiden; wer Soldat werden wolle, bedürfe dazu die
Erlaubnis seiner Vorgesetzten; wer die Verweigerung seiner Bitte nicht
tragen könne, müsse den Entscheid des Königs selbst anrufen. Wenige
Familien waren indes, die nicht ihre Söhne dem Vaterlande darboten;
vieler Namen stehen in gehäufter Zahl in den Listen der Regimenter,
allen voran der Adel Ostpreußens. Sein Beispiel wirkte auch auf das
Landvolk. Ungezählt ist die Menge der Kleinen, die mit ihren gesunden
Gliedern dem Staate alles brachten, was sie besaßen.
Während die Preußen an der Weichsel in dem Drange der Stunde
ihre Rüstungen selbständiger, mit schnell gefundener Ordnung und uner-
hörter Hingabe betrieben, wurde Breslau seit Mitte Februar Sammel-
punkt für die Binnenlandschaften. Zu allen Toren der alten Stadt
zogen die Haufen der Freiwilligen herein. Unter den ersten waren drei-
zehn Bergleute mit drei Lehrlingen aus Waldenburg, Kohlengräber, die
ärmsten Leute; ihre Mitknappen arbeiteten so lange umsonst unter der
Erde, bis sie zur Ausrüstung für die Kameraden 221 Taler zusammen-
brachten; gleich darauf folgten die oberschlesischen Bergleute mit ähnlichem
Eifer. Kaum wollte der König an solche Opfertätigkeit des Volkes
glauben; als er aus den Fenstern des Regierungsgcbäudes den ersten
langen Zug von Wagen und Männern sah, welcher aus der Mark ihm
nachgezogen war und die Albrechtsstraße füllte, den Zuruf hörte und die
allgemeine Freude erkannte, rollten ihm die Tränen über die Wange,
und Scharnhorst durfte fragen, ob er jetzt au den Eifer des Volkes
glaube.
Mit jedem Tage steigt der Andrang. Die Väter bieten ihre ge-
rüsteten Söhne dar. Landschaftssyndikus Elsner zu Ratibor stellt sich
Lesebuch f. Fortbildungsschulen rc. Nllg. Teil. 21
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